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Fenster zum Krieg

Foto: #MeinschönesMarktleuthen

 

Spazierengehen an der sonnenbeschienenen Eger. Wir haben ja die Möglichkeit, Auge und Seele ein wenig auszulüften. Eindrücke als Gegengewicht zu sammeln zu dem, was beunruhigend und unerträglich ist. Auf dem Rückweg fragt mich mein Sohn, ob in der Tagesschau gestern Abend eigentlich mehr über die Spritpreise berichtet wurde, oder über die Ukraine. Dass einigen Zeitgenossen der eigene Tank näher ist, als das zerbombte Dach dort irgendwo in Europa, das ist mir auch schon aufgestoßen. Als wir zurückkehren, übt die Kleine gerade Mendelssohns Lied ohne Worte, op. 30, No. 1. Die Melodie wird sich für mich unlösbar mit dem Krieg verbinden, so wie eine bestimmte Invention von Bach in meiner Kindheit mit der Lektüre von Tom Sawyer.

 

 

Inzwischen ist der Krieg auch greifbar bei uns angekommen. Vor drei Tagen waren die ersten Flüchtlinge aus St. Katharina/Kyjiv bei uns. Robert di Trani vom Goldenen Löwen hat den beiden Familien nicht nur einige Zimmer für die Übernachtung zur Verfügung gestellt, sondern ihnen auch ein fürstliches Sonntagsessen als Abendbrot vorgesetzt. Als er mitbekam, dass der aufgeweckte Viertklässler Arsenij fest entschlossen ist, Koch zu werden und zu Hause begeistert für seine Familie kocht, haben die beiden gleich einen Draht zueinander gefunden.

 

Da unsere Nellie es ausgerechnet in dem Moment, als sie bei uns eintrafen, furchtbar eilig hatte, einen Gang zu unternehmen, habe ich zwei der Frauen kurzerhand mitgenommen. Als unsere langjährige Freundin am Gartentor unserer Hudaks die blaugelben Schleifen entdeckte, kamen ihr sofort die Tränen.

Vier Tage hatten sie in Kiew im Keller gesessen und dann entschieden, dass sie den Kindern die Gefahr nicht mehr länger zumuten wollten. Das Auto der Tochter war viel zu klein, doch eine Freundin, die mit ihren Kindern nur zu Verwandten in die Westukraine fliehen wollte, bat großzügig an, mit ihnen das Fahrzeug zu tauschen. Mit der anderen Freundin, Arsenijs Mutter, bildeten sie einen kleinen Konvoi. Allein schon die Fahrt aus Kyjiv heraus war schrecklich: Ein Wohngebiet mit vielen aufwändig gebauten Privathäusern - etliche davon eine gute Geldanlage, da sie an Ausländer vermietet wurden - war völlig zerbombt. „Wozu macht er das?“ In ihrer Stimme klingt so viel Fassungslosigkeit. „Da hat er doch nichts davon. Da kann doch niemand mehr wohnen. Sogar mein Mann - Sie erinnern sich, er hat Putin immer als großen Strategen und scharfsinnigen Denker verehrt - hat seine Meinung über ihn völlig revidiert.“ Nach langen Jahren Sparen und Abwägen hatten sie sich gerade ein Gartengrundstück gekauft. Samen zum Aussäen liegen jetzt zu Hause, und abbezahlen müssten sie die Datscha auch noch. Aber der endlich verwirklichte Traum ist nun schon Geschichte.

In Polen seien sie unglaublich liebevoll empfangen worden, man habe ihnen musikalische Ständchen gebracht und sie sehr köstlich verpflegt. „Aber unheimlich viele von uns waren da schon angekommen.“ In unserem Wuchergarten betrachtet sie gerührt jeden einzelnen Krokus, der aus der Erde spitzt.

Am nächsten Morgen erzählt sie mir glücklich, dass sie zum ersten Mal seit Kriegsbeginn richtig schlafen konnte. 

Die Kinder, die übrigens als erste bei uns zum Frühstück auftauchen, warten andächtig am Esstisch, bis auch die Erwachsenen da sind. Während ich den Kakao auf dem Herd umrühre, bekomme ich mit, wie sie staunen: „So viel zu essen!“ Dabei hab ich doch nur Semmeln, Marmelade und Käse und etwas Joghurt hingestellt. 

Weil beide Familien russischsprachig sind, merke ich bei Tisch an, dass sie ja in Deutschland ganz wichtige Zeugen der Ereignisse in der Ukraine sind, da es bei uns genügend Russischsprachige gibt, die aus der Propaganda ihrer Medien noch nicht aufwachen wollen. Sofort stehen den beiden Großmüttern und der einen Mutter die Tränen in den Augen. Eine von ihnen erzählt von ihren Verwandten im Kaukasus, die ihr seit acht Jahren nicht glauben wollen, dass sie als Russischsprachige sich in der Ukraine wohlfühlen und nichts zu befürchten haben. Ich sage: „Wie kann man nur dem Fernsehen mehr glauben, als seiner eigenen Schwester?“ Damit habe ich offensichtlich in einer offene Wunde gestochert, denn jetzt beginnt Sweta, die zweite Großmutter, herzzerreißend zu weinen.

Leider ist es bei uns in Bayern noch ziemlich umständlich mit der Aufnahme der Kriegsflüchtlinge. Es führt in Oberfranken kein Weg an der Registrierung im Ankerzentrum in Bamberg vorbei. So ist der Aufenthalt unserer Freunde bei uns nur kurz und ihr Verbleib ungewiss. Sie kommen dort erstmal in einem Flüchtlingsheim unter, bis die Registrierung vollzogen ist. Ob das vier Tage oder vier Wochen dauern wird, kann niemand so recht sagen, denn draußen stehen bereits die nächsten zweitausend vor der Tür. Die Zimmer sind schmutzig, aber wenigstens bekommen unsere Schützlinge auf ihr Bitten hin einen Eimer und einen Lappen zur Verfügung gestellt. Und Sweta, die alte Dame, wird gleich zum Arzt gebracht.

 

Auf Antworten aus Kyjiv warte ich zwischendurch ziemlich lange. „Ich habe mich jetzt als freiwillige Helferin im Kinderkrankenhaus gemeldet,“ schreibt eine Freundin nach zwei Tagen zurück, in denen ich um sie gebangt habe. „Dort arbeite ich tagsüber. Neben unserem Haus wurde ein Flugzeug abgeschossen.“ Und ich überlege, ob ich nach einem solchen Zwischenfall, ganz unabhängig vom ständigen Sirenengeheul, in der Lage wäre, mich um fremde, kranke Kinder zu kümmern, die womöglich Kriegsverletzungen haben. Wer wird die ganzen Traumata auffangen, die die Menschen dort erleiden?

 

Eine andere Freundin antwortet mir hingegen täglich, doch ihre Nachricht bleibt wie ein Refrain: „Danke für die Unterstützung, Charis. Alles ist im grünen Bereich. Wir halten durch.“ Zwischendurch finde ich kleine Fotomomente bei ihr auf FB oder auch bei ihrer Tochter auf Instagram, die dokumentieren, wie die Sonne geschienen hat, als sie den Hund ausführten. Und dann ein Foto von ihr in ihrer Statusmeldung, ihr Gesicht blass und unglaublich müde, dazu die Erklärung “So sehe ich aus, wenn ich täglich Botschaften bekomme, wie <Was machst du noch in Kyjiv?  Flieh doch besser zu uns!>”. Das Bild geht mir nahe: Ich kenne sie als eine immer heitere, humorvolle, scharfsinnige und energiegeladene Frau.

 

 

Und eine Freundin schickte mir wunderschöne Fotos von sich mit einem Tulpenstrauß: „Zum Internationalen Frauentag haben Mutter und ich drei Tulpen gekauft, doch die freundliche Verkäuferin hat uns pro Person noch drei dazugegeben.“

 

 

 

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