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Russischsprachig in Kyjiv, acht Jahre nach der Annexion der Krim

Heute bin ich in ein neues Stadium der Wahrnehmung dieses Krieges eingetreten:“ erzählt sie vor zwei Tagen auf FB. „Ich bin innerlich etwas ruhiger geworden, fast so, wie ich vorher war. Ich hab begriffen, dass ich mich daran gewöhnt habe.“ 

 

Und ich weiß, dass sie nach wie vor in Kiew-Zentrum ausharrt, mit zwei Kindern, von denen das Jüngere vermutlich noch nicht in der zweiten Klasse ist. Der nächste Luftschutzbunker ist immer überfüllt, sodass sie schon nach wenigen Tagen beschlossen haben, trotz allem in der Wohnung zu bleiben. Wenn es draußen einigermaßen ruhig ist, engagiert sie sich dafür, dass die Leute von der TerOborona, also die, die den Bezirk sichern, etwas Warmes zu essen und zu trinken bekommen.

 

 

Morgen versuche ich, irgendwie wieder mit dem Leben zu beginnen. Für mich ist es ein merkwürdiges Gefühl, all diese Stadien meines eigenen Zustandes zu beobachten.

Doch ich denke, wir alle wissen, wem wir dafür zu danken haben, dass wir uns hier in relativer Sicherheit befinden“.

 

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Sie schreibt das auf Russisch, in Kiew-Mitte. Von dort ist es nicht weit zum Regierungssitz. Da, wo angeblich Faschisten einen Genozid an russischsprachigen Bürgern begehen.

 

Und gestern lese ich bei ihr auf Ukrainisch:

 


Russisches Roulette … täglich wieder, aber:

 

Vor einigen Tagen habe ich mich mit Schwamm und Eimer der Hausordnung meines Aufgangs angenommen.“

 

Ich weiß genau, dass die Häuser in diesem Bezirk eigentlich alle genug Reinigungskräfte von der Kommunalverwaltung haben, die das in Friedenszeiten zwar nicht besonders motiviert und schön, aber doch regelmäßig tun. Oft wohnen sie in völlig anderen Stadtbezirken. Jetzt aber ist es gefährlich, in der Stadt weite Wege zurückzulegen. Sicher sind viele von ihnen bereits geflohen.

 

Sie ist Akademikerin und geht normalerweise definitiv einer anderen Arbeit nach.

 

ich habe vor, das jetzt täglich zu übernehmen, schließlich bin ich es, die in diesem Gebäude leben will.

 

Ich habe die Stromzähler abgelesen und möchte bis zum 20. des Monats meine Kommunalkosten begleichen und die für den nächsten Monat gleich mit.

 

Und ich habe auf dem Khreschtschatik ein Selfie von mir geschossen und habe vor, das auch weiterhin zu tun, bis ich es eines Tages mit meinen Enkeln tun kann.

 


 

Mir kommen die Tränen, als ich ihre Worte lese. So viel Eigenverantwortung, so viel Konstruktives, so viel Wille, als gutes Beispiel voranzugehen - und das alles in dieser lähmenden Situation! Und im Hinterkopf habe ich sofort, dass meine Mutter mir gestern erzählte, der Verkäufer im ALDI um die Ecke in ihrer mittelfränkischen Stadt habe ihr gestern gesagt, die Leute kauften palettenweise Rapsöl, um die Flaschen in ihren Dieseltank zu schütten. Als haben sie keinen weiteren Horizont.

 

Das sind die Momente, in denen ich begreife, dass wir von den Ukrainern noch sehr, sehr viel lernen sollten..

 

 

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Christine (Mittwoch, 16 März 2022 12:35)

    Danke, für diese „echten“ Nachrichten! �