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Kinderbuch im Luftschutzkeller

Fragte man mich, ob ich unter den lebenden Schriftstellern ein Idol habe, so würde ich ohne langes Nachdenken Witaliy Sapeka aus Poltawa nennen. Aufmerksam wurde ich auf ihn durch einen seiner FB-Artikel nach unserer Rückkehr aus der Ukraine irgendwann nach 2015. Darin veröffentlichte er ein gerade entstandenes Kapitel des Buches “Polinka”, das er damals für seine eben geborene, erste Enkelin zu schreiben begann. Innigkeit, Hintergründigkeit und Dichte seines Textes ließen mich nicht mehr los.

 

 

 

Sapeka ist von Beruf eigentlich Fotograf. In Sorge um die Zukunft seines Heimatlandes meldete er sich nach Beginn der Unruhen im Donbas als Freiwilliger an die Front. In den Gefechtspausen entstanden im Schützengraben mehrere seiner Romane, von denen ich inzwischen drei lesen durfte. Poltawa ist, wie ich mir von einer von dort stammenden Freundin erzählen ließ, der Ort, an dem wohl das feinste, reinste Ukrainisch gesprochen wird. Sapeka ist dort jedoch mit Russisch als Muttersprache aufgewachsen und verfasste daher seine ersten Romane in russischer Sprache. Seinen für Mittel- und Westeuropa bestimmten Antikriegsroman “Zutzik” hat er etwas später auf Wunsch zahlreicher ukrainischer Leser bereits in ukrainischer Sprache geschrieben. Ich liebe seine unvergleichliche Mischung von bitterem Ernst und von Optimismus strotzendem Humor.

 

 

 

 

““Polinka” habe ich unter Kanonendonner geschrieben. Im Krieg. Ein ausgesprochen gutmütiges, lichtes Buch einer Welt, in der dieser Krieg nicht existiert. Nur das Glück, nur das Gute.” Es geht mir durch und durch, das zu lesen: Die Vokabeln “Glück” und “Gutes” schreibt er groß, was er aus grammatikalischen Gründen nicht müsste. Der ukrainische Begriff für “Glück” lautet “Schastye” wie der im Jahr 2014 heiß umkämpfte Ort im Bezirk Luhansk.

 

Und jetzt bekomme ich Fotos und Benachrichtigungen darüber, dass man dieses Buch Kindern im Luftschutzkeller vorliest. Und dass Flüchtlinge es in Polen, in Ungarn, in Rumänien usw. ihren Kinderchen vorlesen. Es bereite den Kindern Freude. Es lenke sie ein wenig ab.

 

Ich weine.

 

Das Leid der Kinder schmerzt mich so. Wir, die Erwachsenen, haben sie vor diesem schrecklichen Geschehen nicht bewahren können.

 

Ich habe sie nicht bewahren können.

 

Von neuem zieht sich mein Herz schmerzhaft zusammen. Ich habe noch etwa vierzig Exemplare von “Polinka”, die ich bei der Edition Vivat bestellt hatte.

 

Und jetzt bin ich im Krieg. Und diesmal ist da alles anständig organisiert.”

 

Seinen einen Roman, der an den braven Soldaten Schwejk erinnert, hatte er all den Missständen gewidmet, die dadurch entstanden waren, dass in den ersten Kriegsjahren die Regierung auf mysteriöse Weise mit der Verteidigung des Donbas nicht in die Gänge kommen wollte. Soldaten und Freiwillige waren denkbar schlecht ausgerüstet worden, man wurde den Verdacht nicht los, dass die Oligarchen sie gern als Kanonenfutter in eine Art Fleischwolf schickten und insgeheim selbst damit immer mehr Reichtum für sich anhäuften.

... aber jetzt ist dort alles gut organisiert. Manchmal habe ich sogar die Möglichkeit, mich loszureißen und für wenige Stunden in die Zivilisation zu entfliehen. DESHALB: Wenn Ihr mein Büchlein für Euer Kind braucht, so BESTELLT ES! Ich schicke es Euch KOSTENLOS! Soweit mein eigenes Geld noch reicht, bezahle ich gerne das Porto bei der Nova Poshta. Damit die Kinder nicht weinen müssen. Damit sie wenigstens ein bisschen von all dem Schrecklichen abgelenkt werden können. Schreibt mir bitte im Messenger! Euer Witaliy Sapeka

 

Olena Rubka bekenne ich hiermit, dass ich unseren Vertrag gebrochen habe. Ich habe das Buch nämlich schon als PDF nach Polen geschickt. Die Leute drucken es auf dem Printer aus, um es den Kindern vorzulesen. Und erstellen ein Hörbuch davon. Wenn der Verleger mich dafür belangen will, bin ich mit der gerichtlichen Verfolgung einverstanden.”

 

 

 

 

Ich hätte hier gern gleich von ihm geschrieben, da mich sein Artikel so berührt hat. Aber nachdem mich vor wenigen Tagen erst eine westukrainische Autorin darauf aufmerksam machte, dass auch die Ukraine sehr wohl das Urheberrecht achtet und verteidigt, bin ich vorsichtig geworden und bitte ihn erst mal mit einer PN um Erlaubnis. Heute kam seine Antwort: “Alles, was dem Wohl der Ukraine dient, dürfen Sie selbstverständlich veröffentlichen! Bedienen Sie sich ruhig!”

 

Um seine Worte zu übersetzen, scrolle ich in seiner Chronik. Stoße auf diesen Eintrag:

 

Ich will doch Gutes schreiben, vom Glück schreiben. Aber ein Verrückter mischt sich auf meinem Computer mit seinem Heereseinmarsch ein. Ich bin so wütend. Ich bin unglaublich wütend. Auf dem Foto ist das Theater von Mariupol. Vor ein paar Monaten erst fand auf dem Platz davor ein Literaturfestival statt.

 

Im gleichen Moment, als ich vom Vandalismus der Russen bezüglich dieses Theaters erfuhr, erreichte mich die Nachricht, das Tayra in Gefangenschaft geraten ist. Tayra-aaaa!”

 

Ich weiß nicht, wer Tayra ist, aber das klingt sehr schmerzerfüllt.

 

 

"'Ich habe einen neuen Roman geplant. Verfluchter Krieg! Ich hab mir geschworen, dass ich nicht mehr über ihn schreiben will" schreibt er hier. "Diesmal wird es um eine Frau im Krieg gehen. Wahrscheinlich um eine Rentnerin.

Nach unserem Sieg."

 

Und in einem weiteren Artikel: “Ihr Ukrainer, Ihr seid einfach unglaublich! Ich bin so stolz, ein Ukrainer sein zu dürfen. Ich bin stolz darauf, einer von Euch zu sein.

 

Wisst Ihr, wie viele Leute zum Nulltarif das Büchlein “Polinka” bestellt haben, nachdem ich angekündigt hatte, dass ich es kostenlos an Eure Kinder schicken werde?

 

Kein einziger!

 

Niemand von Euch wollte das Buch gratis haben! Auf jede Bestellung hin kam das Geld dafür auf mein Konto. Und manchmal haben sie sogar “für noch etwas anderes” einen Betrag hinzugefügt. Einiger musste ich mich erwehren, sie wollten mir nämlich gleich ein Dutzend Bücher bezahlen, obwohl sie nur eines bestellt hatten. Den Kindern zuliebe. Unseren Kindern!

 

Eine Leserin verwunderte mich: Sie bezahlte ein Buch und wollte es dann nicht geschickt bekommen. Wer es denn dann bekommen sollte? Ein Kind natürlich!

 

Die RuZZen töten unsere Kinder.

 

Und die Ukrainer kümmern sich um die Kinderseelen.

 

Ich umarme Euch alle in inniger Rührung.

 

Euer Witaliy Sapeka

 

P.S. Das Buch “Polinka” kann man noch KOSTENLOS bestellen. Der Dank dafür gebührt der Nova Poshta in Poltawa. Sie haben mir meine Büchersendung aufbewahrt, die ich wegen des Krieges nicht bei ihnen abholen konnte. Und noch zusätzliche Exemplare. Ich muss mich nur von meinem Standort losreißen, und sie abschicken.”

 

 

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