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Steppenläufer

Ukrainer verarbeiten häufig ihre Erlebnisse in Gedichten und Kunstwerken.

Zutiefst beeindruckt haben mich die hochaktuellen Verse der ukrainischen Dichterin Olena Bogutska, die ich vor zehn Tagen auf Facebook fand. Ich habe sie hier für Euch ins Deutsche übertragen.

 

Ihre Worte sprechen ohne Zweifel für sich selbst und stellen uns starke Bilder vor Augen.

Da eine Übersetzung oft nicht alles eins zu eins wiedergeben kann, vorab noch ein paar Erklärungen:

- Das Original (siehe weiter unten) ist ein unschätzbares Kunstwerk, sowohl im Versmaß, als auch im Reim.

Im Deutschen wollte es sich allerdings nicht in die Reimform pressen lassen. So habe ich Wert darauf gelegt, seine Dynamik wenigstens im Versmaß anklingen zu lassen.

- Die Autorin verwendet feinsinnige Wortspiele und Konnotationen. Mir geht es unter die Haut, wie sie Bilder aus der Pflanzenwelt einflicht. So ist der Steppenläufer ein Gewächs, das sich geradezu über die Steppe wälzt.

- Bereits in der ersten Strophe klingt im ukrainischen Begriff терени (Terrain) nicht nur die Bedeutung "Gebiet" an, sondern auch der stachelige Schlehdorn.

- Der "unschuldige Schatz" im zweiten Vers kann sich auf das Kind, zugleich aber auch auf die eilig zusammengerafften Habseligkeiten beziehen.

Doch nun genug der Vorrede. Lasst Euch mitnehmen vom

 

Steppenläufer

 

Oh, große Umsiedlung,  o Strom

der Menschen, dort hinab, weit weg von den Ruinen …

Die Völkerwanderung im einundzwanzigsten Jahrhundert!

Auf das Terrain Europas, aus der Ukraine …

 

Das Kostbarste an sich gerissen, ja, ihr Kindlein,

ihren unschuld´gen Schatz, den sie gerettet,

fließt Mama nur noch ein in diesen großen Strom

aus Charkiw, Butscha, aus dem Keller.

 

Bleich die Gesichter, Tränen auf den Wangen

und auf den zarten Schultern lasten vier Tonnen blei´rner Müdigkeit.

Dort, in den Dörfern, Städten blieben Vorräte zum Leben 

Raketentrichter an der Stell´ der Häuser …

 

Dort blieb es alles, was mal war. Schmerz ist es jetzt.

Und was wird kommen? Ein wüstes, abgegrastes Feld …

Ist denn vertrauenswürdig noch der HERR, der Regisseur,

der dir ein solch´ Szenario, ein solches Schicksal schrieb?

 

Gesegnet sei, der Mama wärmte,

Gesegnet, der den Kindern hilft!

Ergreift die Hoffnung jetzt, einen der Wege,

denn immer kehrt die Hoffnung wieder heim …

 

Es kommt der Tag, an dem der Krieg sein Ende findet,

und Wunden dann behandelt werden, das ist sicher …

Und das Gedächtnis - frühzeitiges Ergrauen.

Und das Gedächtnis - im Vers verfasst, oder im Lied.

 

Und heute schon möcht´ ich so gerne etwas schreiben,

doch nicht vom Schmerz und nicht vom Krieg, nein, andres nur.

Die Tränen brennen, finden schon ihr Ziel,

und ich gestehe mir nicht zu, so laut zu weinen …

 

Ich wein´ erst dann, wenn uns die Siegesstunde schlägt …

Vor Freude, Stolz, oh ja, schlussendlich

und schreibe dann Erfreuliches für Euch,

doch jetzt nur das, was wirklich offensichtlich.

 

Olena Bogutska


 

Die ukrainische Dichterin Olena Bogutska

Перекотиполе

 

 

 

Велике переселення, потік

 

людей і доль подалі від руїни...

 

Міграція у двадцять перший вік!

 

На терени Європи з України...

 

 

 

Вхопивши найдорожче - діточок,

 

і той нехитрий скарб, що врятувала,

 

вливається матуся у струмок

 

із Харкова, із Бучі, із підвалу...

 

 

 

Бліді обличчя, сльози на очах,

 

а на плечах чотирьох тонна втома...

 

Там, все нажите, в селах і містах...

 

І вирви від ракет на місті дому...

 

 

 

Там, все минуле... зболене - тепер.

 

А що майбутнє? Перекотиполе...

 

Хіба Господь -- надійний режисер,

 

що написав тобі сценарій, доле?..

 

 

 

Благословен, хто маму обігрів!

 

Благословен, хто дітям помагає!

 

Беріть надію на один з шляхів,

 

вона завжди додому повертає...

 

 

 

Настане день, закінчиться війна,

 

і рани залікуються... Це - звісно...

 

А пам'ять - передчасна сивина.

 

А пам'ять - вірш написаний, чи пісня...

 

 

 

І хочеться сьогодні, не про біль,

 

не про війну, щось інше написати...

 

Скипають сльози, і знаходять ціль...

 

Та права не даю собі ридати...

 

 

 

Заплачу потім, в перемоги час...

 

Від радості, від гордості, нарешті...

 

І напишу щось радісне, для вас...

 

А зараз - тільки очевидні речі.

 

Експромт

 

Двадцятий день війни

 

Світлини з інтернету

 

15. 03. 2022

 

Олена Богуцька

 

 

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