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Wenn der Krieg zuende ist ...

"Tag des Glücks"

überschreibt der Schriftsteller Witaliy Sapeka kürzlich eine kurze FB- Notiz, in der er erzählt, wie er eines schönen Tages vom Krieg heimkehren wird.

 

Er stellt sich vor, wie er mit ermüdeten Augen vom Balkon herab den Seinen entgegenblickt. Sie kehren von ihrem Aufenthalt in der Fremde heim, wo sie als Flüchtlinge gelebt haben. Und als er das Auto kommen sieht, eilt er ihnen entgegen. Die angenehme Frage, wen er zuerst in seine Arme schließen wird, die Gattin, die Nichte oder die Tochter, kann er nicht entscheiden. Es erübrigt sich jedoch, denn das Enkelkind springt ihm entgegen. Nach innigen Umarmungen rundum wird das Hündchen, von dem sein Antikriegsroman handelt, von den Freunden zurückgeholt, bei denen es Zuflucht gefunden hatte.

 

Diesen überaus glüklichen Tag beschließen sie nun jedes Jahr zu feiern.

Und natürlich alle zehn Jahre als Jubiläum.

Er schließt mit den Überlegungen:

Nur, wann kehre ich aus dem Krieg heim?

Wann wird dieser glückliche Tag eintreten?

 

Immer wieder staune ich über die ukrainische FB-Gedichtgruppe, der ich während der Coronastille beigetreten bin. Ukrainischsprachige Poeten aus dem gesamten Gebiet der Ukraine melden sich dort zu Wort. Sie ist ein Forum zur Pflege der ukrainischen Sprache - und seit den letzten Monaten auch ein Ort gegenseitiger Unterstützung und Solidarität. Besonders seit der letzten Februarwoche dieses Jahres kommt jeden Tag eine unglaubliche Fülle gepflegter Lyrik hinzu. Und ab und zu gibt es dort einen Wettbewerb, in jüngster Zeit sogar recht viele. Mit Spannung habe ich den Wettbewerb #Коли_закінчиться_війна (das bedeutet: #Wenn_der_Krieg_zuende_ist) beobachtet, um Empfindungen und Visionen meiner ukrainischen Freunde und Kollegen besser nachvollziehen zu können. Ausgeschrieben wurde der Wettbewerb am 21. Mai dieses Jahres. Bis zum 31. Mai durften Gedichte zum Thema eingereicht werden, unter der Bedingung, dass die Formulierung "Wenn der Krieg zuende ist" im Gedicht nicht verwendet, sondern nur umschrieben wird. "Wir schlagen vor, mit Eurem schönen, poetischen Wort jeden Ukrainer aufzubauen - und dadurch den ersehnten Sieg über den Feind näher herbeizulocken!" Die Auswertung der etwa 95 Einsendungen war am 5. Juni abgeschlossen. Mit elektronischen Diplomen wurden die Gewinner geehrt.

Wenn der Krieg zuende ist. Dieses Thema bewegt viele auch hier bei uns. Lasst Euch von der ukrainischen Perspektive mitnehmen! Heute aus dem Blickwinkel von Tamara Iwus aus Kyjiv:

Und sieh, der Krieg ist nun beendet

 

Und sieh, der Krieg ist nun beendet.

Der Tod wird hinterrücks nicht länger Atem holen.

Der Strudel wird nicht mehr den Kahn

menschlichen Lebens in die Strömung reißen.

Plötzlich wird sich der Stillen Stille legen,

zu explodier´n im Freudenfeuerwerk.

In diesem Augenblick hörst du, oh Seele, auf zu schmerzen,

befreien wirst du das beengte Herz dann aus der Zange.

Dem Strom der Tränen lässt du los die Schleusen,

in ihm, da mischen sich Freude und Schmerz …

Im Wind verfliegt der stille Blues

über die Köpfe dorthin, in das Feld,

das im Gedächtnis jene hält,

die mit den Kranichen sich in die Höh erhoben.

Ihm schmerzt, weil es das schlimmste Unglück ist –

wenn Erd das Blut saugt aus dem Leibe …

Auf ihr soll man doch Weizen voller Liebe hegen,

und lange, Liebster, nicht vergessen,

wie Losungen der Sonne Strahlen 

in jugendlichen Augen … grausame Zeit …

Und schmerzen werden uns des Krieges Tage.

Die Zeit wird Wunden heilen, doch die Seelen

werden noch lang im Traume sehn,

weil unsterblich das Herzgedächtnis ist.

… Und dennoch – fand der Krieg ein Ende.

Wir wurden Andre, als wir vorher waren,

weil wir begriffen: EINEN Weg nur

gibt es, der zum freien Lande führt.

Und ich bin sicher, dass wir schon

der Ukraine würdig werden,

dass wir mit Streitereien, mit dem Messer gar,

ihr nicht das Herz zerreißen werden.

Wir werden einig werden, wie die starke Faust,

Denn nur so können wir die Kraft bewahren.

Wenn nur der Mohn im Felde schwelt –

das höchste Opfer Dir, oh Mutter!

 


Tamara Iwus, Mai 2022

Elektronisch versandte Urkunde, mit der Tamara Iwus der zweite Platz unter den Gewinnern des Wettbewerbs bescheinigt wird.

 

Tamara Iwus erzählt auf mein Nachfragen von sich selbst: "Ich bin Ukrainerin, nicht nur wegen meiner genetischen Herkunft, sondern auch aus Überzeugung und durch meine Liebe zur Ukraine. Von Beruf bin ich Philologin. Nach dem Hochschulexamen habe ich Ukrainische Sprache und Literatur an einer Schule unterrichtet und später noch bis zur Rente als Literaturredakteurin für ein Landwirtschaftsjournal gearbeitet. Ich bin verheiratet und habe eine erwachsene Tochter. Ich liebe Dichtung und schöne Literatur. Meine Seele reagiert mit Ehrfurcht auf Schönheit und Größe des Wortes. Das inspiriert auch meine eigenen Zeilen." Zum vorliegenden Gedicht erläutert sie: "Wie alle echten Ukrainer glaube ich fest daran, dass der Sieg kommt. Denn alles Böse muss überwunden werden, früher oder später muss doch Gerechtigkeit triumphieren. Die Ukraine bringt riesige Aufwendungen an Menschenleben, unschuldigen Opfern und erfährt eine tiefgreifende Ruinierung. Das ist ein sehr hoher Preis für den Wunsch, selbstständig und unabhängig zu bleiben von erstickenden, imperialistischen Verstrickungen. Die Ukraine ist jetzt zum Bollwerk der Verteidigung ganz Europas geworden. Und die Unterstützung von allen Seiten der Europäischen Gemeinschaft ist für uns sehr wichtig."

 

Was in der deutschen Übersetzung vermutlich nicht so deutlich zu spüren ist, ist das ukrainische Verständnis der Erde. Tamara Iwus erklärt mir: "Wir verstehen sie als unser Heiligtum, als nährende Mutter und für uns ist sie immer wie ein lebensspendendes Wesen. Das bildet sich auch in unseren schöpferischen Werken ab, bereits in vorschriftlicher Zeit, wie auch in unserer zeitgenössischen Literatur, besonders in der Poesie. Und so schmerzt das Feld, also die Erde, der Tod ihrer Verteidiger. Die Erde wünscht doch, dass auf ihr die Bauern in Frieden arbeiten, dass sie nicht durch Bomben und Granaten verletzt wird und dass sie nicht die Leiber der Getöteten begraben muss. Denn das Feld ist von Gott und der Natur dazu bestimmt, Brot hervorzubringen, das heißt, das Leben selbst zu gebären. [...] So schmerzt es sie, dass auf ihr Blut vergossen wird. Denn sie ist gewohnt, in Dankbarkeit die Mühen der Ackerbauern anzunehmen, aber doch nicht Blut. Und in diesen schweren Zeiten ist sie gezwungen, dies unschuldige Blut der Verteidiger, ihrer Kinder aufzunehmen. Das läuft auf unerträgliche Weise ihrer Bestimmung entgegen, es ist ein unaussprechlicher Schmerz für sie.

Und, ja: Mohnblüten symbolisieren für uns seit dem Zweiten Weltkrieg das im Kampf zwischen den Getreidekörnern vergossene Blut. Sie sind ein Symbol des Gedenkens an die Gefallenen, die rote Farbe erinnert an das zugunsten unserer Freiheit und Unabhängigkeit vergossenene Blut."

 

 

 

І ось скінчилася війна.

Вже смерть не дихатиме в спину.

І вир не понесе човна

життя людського на стремнину.

Заляже раптом тиша з тиш,

щоб розірватися салютом.

В цю мить ти, душе, відболиш,

з лещат розтиснеш серце скуте.

На сліз потік відпустиш шлюз,

змішаються в нім радість з болем...

Полине вітру тихий блюз

поверх голів туди, у поле,

що в пам'яті тримає тих,

хто журавлями ввись злетіли.

Йому болить, бо лихо з лих --

землі' вбирати кров із тіла...

Їй же плекати пшениці',

та довго, рідній, не забути,

як гасли сонця промінці

в очах юнацьких... врем'я люте...

Болітимуть нам дні війни.

Загоїть рани час, а ду'ші

ще довго бачитимуть сни,

бо пам'ять серця невмируща.

...Та все ж -- скінчилася війна.

Ми стали інші, ніж до того,

бо зрозуміли, що ОДНА

в країни вільної дорога.

І віриться мені, що вже

ми України гідні будем,

що чварами, немов ножем,

терзати їй не будем груди.

Єдині станем, як кулак,

бо тільки так нам міць тримати.

Лиш жеврітиме в полі мак --

найвища жертва тобі, Мати.

Т. Івусь

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Heinz, der TheaterKoch (Dienstag, 02 August 2022 15:18)

    Sehr berührender blog-Beitrag mit dem Gedicht als Höhepunkt.