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Wenn das Licht schwindet ...

Seit kurzem ist es bei uns nachts nicht mehr ganz so hell: Auch der Turm unserer St. Nikolauskirche in unserer allerdirektesten Nachbarschaft wird zur dunklen Tageszeit nicht mehr angestrahlt. Ich finde das gut und übe selber ein, aufmerksam wahrzunehmen, wo ich ein bisschen weniger Energie verbrauchen kann. Ich bemühe mich, daran zu denken, dass ich meine elektronischen Geräte nicht mehr im Standby-Modus weiterlaufen lasse und Mobiltelefon und Smartwatch vor dem Zubettgehen in den Energiesparmodus versetze. Eigentlich reicht es mir morgens im Bad auch, wenn ich das Licht erst anknipse, nachdem ich aus der Duschkabine komme. Sollte es mir zu dunkel sein, dann kann ich die Jalousie anders einstellen, sodass die Laterne an der Kirche mir etwas Helligkeit spendet, die Ihr rechts auf dem Foto seht.

 

Im Ukrainischen gibt es für "Strom"  und "Licht" nur ein und das selbe Wort. Meine ukrainischen Freunde haben nicht mehr die Wahl, freiwillig Energie zu sparen, sie werden vom Aggressor dazu gezwungen.

Bei Alex Becker, einem jungen Journalisten aus Kyjiw, fand ich heute einen Facebookeintrag mit ausgesprochen romantisch anmutendem Foto: Abgebildet ist ein festlich gedeckter Tisch im Licht einer stilvollen Campinglaterne. In ihrem Schein ein Teller mit dunkelroten Weintrauben und kräftigem Brot, im Hintergrund eine Schale mit Birnen und eine weitere Schale mit einer geheimnisvollen Speise. Er erläutert kurz:

"Gaslampe, Buchweizenbrot, gebratene Pilze - bombastisch war das Abendessen ...

Aber Licht? Licht gibt es noch. Das ist so, wie mit dem Sieg: Schon demnächst. Dorthin muss man einfach seinen eigenen Weg finden und gehen."

 

Der Schriftsteller Jurij Wynnytschuk (seinen Roman "Im Schatten der Mohnblüte" gibt es schon lange auf Deutsch) erzählt davon, dass er nach langer Reise durch Europa wieder zu Hause ist, entgegen der Warnung der Regierung, vorerst wegen der unsicheren Lage nicht in die Ukraine zurückzukehren. Er hat sich einen Astschneider gekauft, der Zweige auf Stücke von fünf Zentimeter Länge zerkleinert, um Suppen auf offenem Feuer zubereiten zu können. Und einen gusseisernen Kessel. Denn das Süppchen sei nun mal seine Schwäche. Beim Einschlafen stellt er sich einen flauschigen, fliegenden Teppich vor, auf dem er auf den Flügeln von Liedern aus dem Fenster fliegt, um die verblendeten Feinde von oben her zu bekämpfen. Erst dann kann er in tiefen Schlaf fallen. Denn, so sein Resümee: "Die Front muss nicht nur physisch, sondern auch seelisch (aus)gehalten werden."

 

Der Schriftsteller Vladyslav Ivchenko berichtet aus Sumy, trotz allem mit seinem unverwechselbarem Humor. Er lässt uns teilhaben an Szenen des Lebens mit seiner samt Mutter aus Deutschland zurückgekehrten Tochter. So schrieb er vor ein paar Tagen von der kleinen Erstklässlerin Malva, ihr Kosename ist Malja:

"Malja kann sich gut ausdrücken. Wir gehen durch die Stadt. Malja sieht das Denkmal des heiteren Bewohners von Sumy und fragt:

<Sag mal, dieser Mensch, ist der gestorben, als er noch gelebt hat?>"

Eine seiner Leserinnen meint in den Kommentaren:

<Logisch. Tote sterben nicht mehr. Außer den lebenden.>

Und eine weitere merkt an: <Ideal. Ich werde in Zukunft nach allen auf diese Weise fragen.>

 

Mir geht sein Bericht durch und durch, in dem er erzählt, dass seine Frau eine aufgeregte Nachricht ihrer deutschen Gastmutter bekommt, ganz besorgt wegen der gefährlichen Lage. Ihre Türen, so schreibt sie, stehen den beiden jederzeit offen. Und seine Frau schreibt zurück, dass bis jetzt noch alles okay ist. Und dass man weitersehen muss, sollte sich das ändern. Anschließend blicken sie gemeinsam im Schummerlicht auf die Gläser mit Eintopf, die sie für den schlimmsten Fall eingeweckt haben.

 

Ebenso berührt mich seine gestrige Notiz über den Onlineunterricht seines Töchterchens sehr:

"Der Unterricht im Googlemeeting läuft, als die Sirene zu heulen beginnt.

<Kinder, wir machen Pause. Wenn der Luftalarm nur kurz anhält, dann treffen wir uns zum Mathematikunterricht wieder.>

Malja stellt ihr Mikrofon an:

<Viktoria Anatolijewna, der Luftalarm wird lang dauern!>

So kam es auch."

Und eine seiner Leserinnen fügt hinzu:

"Zum Unterricht bleiben nur die, die in Frankreich, Spanien und Tschechien sind. Und ich im Korridor."

Ivchenko: "Bei uns ist nur ein einziges Kind im Ausland. Die Anderen sind alle hier."

Da stellt sich für mich heraus, dass es sich bei der Leserin um eine Lehrerin handelt. Sie schreibt:

"Ich habe Jugendliche. Übrigens viele aus den Orten, die ständig unter Beschuss sind. Da kommt auch so etwas vor:

<Jetzt geht schon in den Luftschutzkeller, es ist Luftalarm!> -

<Ich befinde mich auch so schon hinter doppelten Wänden.>

<Ich mache das Mikro aus, damit Sie die Einschläge nicht hören müssen.>

<Macht nichts, ich sitze zwar im Dunkeln, aber ist wenigstens meine Nase zu sehen? Ich hab doch keinen Strom, ich verfolge den Unterricht am Mobiltelefon, aber schon nicht mehr von meinem eigenen ...>

Gerade diese Kinder lernen wie die Verrückten für den Unterricht."

 

Und eine junge Frau aus Kyjiw schreibt heute:

"Uns kann man weder Wärme noch Licht wegnehmen,

denn wir selbst sind Licht und Wärme, einer für den anderen ..."

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