"Als ich auf der Post etwas zu erledigen hatte, sah ich durch die Glasscheibe, wie eine Frau sich in einem Nebenraum mit dem Föhn die Haare trocknete." berichtete eine meiner Kyjiwer Freundinnen letzte Woche. "Wahrscheinlich hatte sie zu Hause keinen Strom. Meine Friseuse ist sehr unglücklich: Ein großer Teil ihrer Kundinnen verlangt jetzt Kurzhaarschnitte. Sie bekommen die Haare zu Hause nicht trocken."
Heute morgen hörte ich im Deutschlankfunk einen Beitrag, in den ein Interview mit meiner Facebookfreundin Karina Beigelzimer aus Odessa einfloß. Sie sagt, früher haben sie den Morgen mit einem Kaffee begonnen. Doch jetzt sei stets der erste Gedanke: "Wo kann ich die Akkus meiner Geräte aufladen?" Als Deutschlehrerin und freie Journalistin ist sie darauf angewiesen, Kontakt zu halten. Sobald das Tageslicht zuende ist, wird es sehr schwierig, sich draußen fortzubewegen. Es geschehen vermehrt Unfälle, da die Autofahrer häufig im Dunkeln Fußgänger übersehen. Man muss schon eine Taschenlampe bei sich haben, um zu sehen, wohin man geht. Die Generatoren machen einen Heidenlärm, es ist draußen sehr laut.. Fliehen aus Odessa ist für sie dennoch keine Option, es ist doch ihre Heimat. Dem Narrativ der Russen, die Ukrainer zu "retten", setzt sie entgegen: "Wir brauchen niemanden, der uns rettet. Wir brauchen nur Ruhe vor den Raketen und Drohnen der Russen." Karina schreibt übrigens deutsche Beiträge auf Facebook und in einer deutschsprachigen Onlinezeitung (https://interaktiv.kleinezeitung.at/ukraine-tagebuecher/). Es lohnt sich, sie zu lesen!
Eine andere Freundin aus Odessa erzählt: "Die Kartoffeln schäle ich, solange es hell ist und Licht durchs Fenster fällt. Sieh nur, wie klein unsere Kartoffeln in diesem Jahr sind! Man hat ganz schön lange zu tun, bis man sie geschält hat. Und mit den Kerzen bin ich vorsichtshalber sparsam." Sie schickt mir ein Foto mit: Tatsächlich sind die Kartöffelchen kaum größer als ihr Daumennagel. Sie muss mehrere Schichten Kleidung übereinanderziehen, weil es auch im Haus entsetzlich kalt ist. Die warme Mütze lässt sie sogar beim Schlafen auf dem Kopf.
Ich habe ein schlechtes Gewissen. Ewig habe ich mich nicht bei meiner Freundin, der Dichterin Oksana Moch (Lwiw), gemeldet. Auf meine Nachfrage hin schreibt sie:
"... Zuhause ist das Leben ziemlich ungemütlich geworden. Unser Haus hat kein Gas, wir haben nur einen Elektroherd. Essen kochen ist zu einem echten Problem geworden. Wir haben nur vier Stunden am Tag Strom und dann nachts noch einmal vier Stunden. Die Heizung hängt ebenfalls vom Strom ab. Genauso wie Warmwasser. Darum sind wir jetzt für den Winter zu meiner Schwiegermutter aufs Dorf gezogen. Dort gibt es einen Kessel, der mit Holz geheizt wird, Gas und einen eigenen Brunnen. Wir haben es warm. Mit den Kindern bin ich zum Homeschooling übergegangen. Das bedeutet, dass ich ihnen alle Lehrer ersetzen muss. Die Kinder lernen zu Hause und gehen nur zu Prüfungen in die Schule. Im Moment kommen wir so einigermaßen klar. Doch ich will mich nicht beklagen. Wir haben für uns einen Ausweg gefunden. Aber es gibt so viele Leute, die einfach keine solchen Möglichkeiten haben. Und meine Kinder sagen, sie finden es besser, ohne die Russen im Dunkeln zu sitzen, als mit Russen und mit Strom. Ich bin so stolz auf sie!
Ja, so backen wir Kekse und gefüllte Teigtaschen für unsere Soldaten. Freiwillige bringen sie in den Osten. An unserem Sieg zweifle ich kein bisschen, es wird halt noch ein bisschen dauern."
Ihr Foto mit den
köstlichen Teigtaschen am Fenster gefällt mir außerordentlich. Ich frage sie, ob ich es für meine Internetseite klauen darf. "Ja, selbstverständlich, klauen Sie es ruhig!" antwortet sie sofort
und bedankt sich überschwänglich für meine Unterstützung. Und ich denke nach, wo sie in der schwierigen Lage die Zutaten zum großzügigen Backen herbekommt und hoffe, dass die Freiwilligen auf
ihrer weiten Fahrt durch den Winter behütet bleiben.
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Friederike (Mittwoch, 14 Dezember 2022 20:24)
Bewundernswert ist die Haltung der Kinder, die lieber im Dunkeln sein wollen als unter russischer Herrschaft. Klar, sie übernehmen wie selbstverständlich die Meinung der Mutter, die für sich und ihre Kinder einen modus vivendi gefunden hat und doch die anderen nicht vergisst, denen ihre eigenen (kargen) Möglichkeiten verschlossen bleiben und Unsägliches erleiden.
Und wir in Deutschland leben so viel komfortabler trotz Teuerung und Klimawandel.
Nicht vergessen, dass unsere Möglichkeiten eine Leihgabe sind; dass Leben zerbrechlich ist!