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Am ungewohnten Ort ...

Eine schon lange in Deutschland lebende, ukrainische Freundin markierte mich neulich auf Facebook: "Charis Haska, dieses Gedicht ist einer schönen Übersetzung wert!" Neugierig sah ich nach. Die Autorin, Yuliya Olefir, war mir bis dahin noch nicht bekannt. Doch was sie beschreibt, hatte ich tatsächlich von anderen Flüchtlingen aus der Ukraine ganz ähnlich gehört:

Ist auch Polen wirklich ein schönes Land,

So weint doch die Frau dort, sie möchte nach Hause …

Sie gaben ihr Wohnung und viel Unterstützung -

Die Kinder fragen tagtäglich nach Papa.

 

In Spanien ist ´s warm, ja im Süden Europas,

Doch stets die Gedanken in Schützengräben.

In Deutschland gibt ´s Bier, in Italien Kaffee.

„Wann geht's endlich nach Hause?“ bleibt die Frage an Mama.

 

Froh sein könnt´ eine, wer weiß wo, in Belgien:

Mit Freunden, Waffeln, und Schokogeschmack,

Sie ist abends stets traurig, ganz nach dem Grundsatz:

Auf der Welt ist´ s am besten doch immer zuhause!

 

Rumänien ebenfalls ist ziemlich freundlich,

Die Familie, kinderreich, deshalb vollzählig,

Findet zum Leben, was zum Glück man noch braucht,

Doch sie woll´ n nur nach Haus ´, unter friedlichem Himmel …

 

Jemand lässt sich nieder, wird zurück nicht mehr kehren,

Wohlwissend, die Gesellschaft des Verrats ihn bezichtigt,

Denn leider scheint es doch sehr oft den Leuten,

Außer ihnen fall´ allen das Leben recht leicht.

 

Doch was in der Seele, danach fragt den niemand,

Der sein eigenes Haus für immer verlassen,

Solche Entscheidungen fallen sehr schwer,

Dem Herzen, das für das Vaterland schlägt.

 

In Frankreich ist´ s köstlich, in Tschechien sauber,

Der Frühling in Holland - farbenfroh zu Genüge,

In Litauen kühl, doch die Menschen gutherzig,

Doch wie Zuhaus ´ wird es nirgends mehr werden …

 

Gesichter, die aufrichtig lächeln, nicht freuen

In der schönen, der fremden, europäischen Hauptstadt.

Denn man will heim nur ins Elternhaus, in dessen Vorbau,

Zu Mutters eigenem Kuchen zum Frühstück.

 

In die aufrichtig warme Umarmung des Liebsten,

Und man will nur in Ruhe, man will nur in Frieden 

Sein Leben bis hin ins Alter durchleben …

Ganz nach dem Grundsatz:

Nirgendwo auf der Erde ist´ s so, wie zuhause.

 

Yuliya Olefir, 19.12.2022

 

Beim Lesen ist es zunächst keine Frage für mich: Diese Frau lebt gewiss seit kurz nach Kriegsausbruch irgendwo in der EU, vermutlich in Deutschland. Meine Freundin  hat zunächst keinen Tipp, wie ich mit ihr Kontakt aufnnehmen kann.  Auf den Namen, mit dem das Gedicht unterzeichnet ist, sind mehrere für Fremde nicht zugängliche FB- Profile im Netz zu finden. Eine davon scheint sich in Mecklenburg-Vorpommern aufzuhalten. Alle anschreiben? Die Aktivitäten der Feiertage dämpfen meinen Elan. Später löst sich das Rätsel fast wie von selbst: Auf Verdacht gebe ich die ersten Zeilen des Gedichts ins Suchfeld ein. Ich gelange direkt auf Yuliyas Autorenseite. Darauf, dass sie sich im sozialen Netzwerk nicht mit kyrillischen, sondern mit lateinischen Buchstaben schreiben könnte, war ich gar nicht gekommen.

Immer noch wähne ich sie in einer Stadt an der deutschen Ostsee. Schicke ihr eine Nachricht und frage, ob sie mit der Veröffentlichung ihres Gedichtes einverstanden ist. Das wäre super, meint sie. Sie selbst allerdings verstehe leider kein Deutsch. "Mit der Zeit werden Sie es schon lernen und recht schön Deutsch sprechen!" möchte ich sie in meiner Naivität aufmuntern. Ich kündige an, dass es noch ein paar Tage dauern wird, bis die Übersetzung fertig ist. Auf meine Frage nach Fotos kommt erst mal gar nichts. Indessen erklärt mir die Freundin, durch die ich auf das Gedicht gestoßen bin: "Ich denke, das sollten die Menschen in Deutschland lesen, die denken, die Ukrainerinnen kommen hierher, um einfach auf Kosten Anderer ein schönes Leben zu genießen. Es ist so aufrichtig geschrieben und entspricht dem, was viele Flüchtlinge tatsächlich durchleben."  Sie macht mich auf inhaltliche Besonderheiten aufmerksam, die das mitteleuropäische Ohr wegen mangelder Kenntniss der Umstände gar nicht bemerkt: "Im zweiten Vers ist ja die Wärme der Mittelmeerländer beschrieben.  Aber die Flüchtlinge können die gar nicht auskosten, weil sie immerzu an ihre Angehörigen denken müssen, die an der Front unter widrigen Bedingungen aushalten und frieren." Auch den Vers, der sich auf Rumänien bezieht, erläutert sie mir näher: "Es gibt eine Regelung, dass die Väter kinderreicher Familien mit ausreisen dürfen, da es den Müttern nicht zuzumuten ist, so viele Kinder im Ausland alleine zu versorgen. Aber selbst diese vollzähligen Familien halten es im Ausland nicht aus, immerzu leiden sie unter der Sehnsucht nach der Heimat. Sie fühlen sich schlecht, weil sie ihr den Rücken gekehrt  haben."

Als ich mich erneut bei Yuliya melde, schreibt sie: "Moment, ich muss ein bisschen überlegen." Dann flattern mir Bilder aus einem glücklichen Leben ins Postfach:

"Ich bin Ukrainerin," erzählt sie mir, "obwohl ich in Russland geboren bin, wo mein Vater arbeitete. Gedichte schreibe ich schon seit meinem zehnten Lebensjahr. Allerdings schrieb ich sie hauptsächlich auf Russisch, habe drei Gedichtbände auf Russisch herausgegeben und bin auch häufig damit aufgetreten.  Ich bin ausgebildete Apothekerin, verheiratet und erziehe meine zwei kleinen Söhne. Zurzeit befinde ich mich in Elternzeit. Seit Beginn des heißen Krieges habe ich mich vollständig von der russischen Sprache losgesagt und begonnen, auf Ukrainisch zu schreiben. Vor einer Woche kam meine erste Gedichtsammlung in ukrainischer Sprache heraus, mit dem Titel "In unserem eigenen Land". Ich liebe Kaffee, den Herbst und Pinguine. Ich habe vor, mein Leben ganz der schöpferischen Tätigkeit zu widmen. An den Sieg der Ukraine glaube ich von ganzem Herzen!"

Neugierig frage ich, wo sie sich zuzeit aufhält. Vielleicht kann ich ja in Erfahrung bringen, wie es ihr als Flüchtling in Deutschland geht?

Ihre Familie stammt aus Krementschuk. Nach ihrer Heirat in Charkiw hat sie sieben Jahre dort gelebt, dort sind auch ihre Kinder geboren. "Die beiden Fotos sind einen Monat vor Kriegsbeginn dort aufgenommen." Was für eine schöne Familie, denke ich. Wie aus einer Modezeitschrift ... "Zu Beginn des Krieges bin ich mit den Kindern nach Krementschuk geflohen. Ich habe vor, im Frühling nach Charkiw zurückzukehren." Nanu, habe ich mich so getäuscht? Sie ist gar nicht in Deutschland? "Haben Sie auch Auslandserfahrung?" frage ich vorsichtig.

 

"Für einen Monat bin ich nach Litauen geflohen, aber dann zurückgekehrt. Ich habe es dort nicht ausgehalten." antwortet sie und fügt weitere Fotos hinzu.

Das erste Foto zeigt die Explosionen an der Grenze, Richtung Belgorod, die sie am ersten Kriegstag gesehen haben, erfahre ich. Zum zweiten Bild erklärt sie: "So sind wir vor dem Krieg geflohen, erst mal drei Tage in Richtung Lwiw. Staus, Dutzende Kilometer lang. Die Kinder haben es einfach nicht mehr ausgehalten. -

Moment. Ich suche noch etwas Symbolisches."

Kurz darauf schickt sie mir folgendes Foto mit dem Zusatz "Unsere Kinder in ihren Wyshiwanki":

 

 

Oh, möge Gott Yuliya, ihren Mann und ihre Kinder doch bald wieder unversehrt nach Charkiw zurückkehren lassen, möge der Himmel über ihnen bald dauerhaft friedlich sein!

 

Хоч Польща країна насправді чудова,

Та плаче там жінка, бо хоче додому…

Житло надали, допомоги багато,

А діти питають щоденно про тата. 

 

В Іспанії тепло, бо південь Європи,

Але всі думки про холодні окопи.

В Німеччині пиво, в Італії - кава

«Коли вже додому?» - питання до мами. 

 

Одна десь у Бельгії, наче б то рада,

Тут друзі і вафлі, тут смак шоколаду

Та сумно щовечора, бо аксіома:

На світі найкраще буває удома!

 

Румунія також доволі привітна,

Тут ціла родина, бо багатодітна.

Здається живіть, що для щастя ще треба,

А їм би додому, під мирнеє небо…

 

Хтось навіть осів, повертатись не буде.

Хоч знає, суспільство,за «зраду» засудить,

Бо людям, на жаль, дуже часто здається,

Що всім, окрім них, дуже легко живеться. 

 

А що на душі, то ніхто не спитає, 

У того, хто дім свій навік покидає.

А рішення те дуже важко дається,

Бо серце, воно з Батьківщиною б’ється. 

 

У Франції смачно, у Чехії чисто, 

Весна в Нідерландах доволі барвиста

В Литві прохолодно, але добрі люди,

Проте, як удома, ніде вже не буде…

 

Не радують щирі усміхнені лиця

В красивій, чужій європейській столиці.

Бо хочеться в батьківську хату, на ґанок,

І фірмовий мамин пиріг на сніданок.

 

В обійми коханого теплі і щирі,

І хочеться в спокої, хочеться в мирі

Прожити до старості…

Бо аксіома: 

Ніде на землі не буває, як вдома. 

 

Юлія Олефір

 

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