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Am Wasser

Iryna Kalina schreibt unter einem Pseudonym. Denn sie ist erst im Frühjahr aus einem schon seit 2014 von Russland besetzten Teil des Donbas geflohen. Eigentlich hat sie ihr Leben lang Russisch gesprochen. Sie konnte es lange nicht glauben, dass Russland Pläne habe, sich die Ukraine einzuverleiben - wo doch ständig vom Brudervolk die Rede war. Wachen Auges beobachtete sie mit Erschrecken, wie die Menschen um sie her sich seit Beginn der Okkupation einschüchtern ließen. Viele Mitbürger wirkten auf sie schon bald wie nach einer Gehirnwäsche, völlig davon überzeugt, durch Russland "beschützt" zu werden. Unter diesen Eindrücken reifte 2019 in ihr der Entschluss, sich die ukrainische Sprache immer besser anzueignen und nur noch auf Ukrainisch zu dichten. In der Facebookgruppe ukrainischer Lyrik, aus der ich Euch schon etliche Gedichte vorgestellt habe, bittet sie häufig darum, die Dichterkollegen mögen sie doch bitte auf Fehler hinweisen, damit sie ihre Kenntnisse der Muttersprache stetig verbessern kann.

Ihre Gedichte, in denen sie Ereignisse wie den Tod ihrer Nichte durch eine russische Rakete verarbeitet, mit der ihr friedliches Dorf beschossen wurde, sind ergreifend. Ihr werdet sie an anderer Stelle noch zu lesen bekommen. Mich haben heute zwei ihrer Gedichte sehr mitgenommen, in denen sie davon schreibt, wie das doch bis vor kurzem klare Wasser, die Lebendsgrundlage, zu einer trüben Brühe geworden ist, in der ganze Dörfer und Leichen treiben. Und von der Frage, ob man die zutiefst verletzte Seele erneuern könne - man müsse doch leben!

 

Heute möchte ich Euch lediglich den Aufschrei ihrer Seele angesichts der Sprengung des Kachowka-Staudamms hören lassen. Iryna lebt seit dem Frühjahr in einer Stadt, die gar nicht weit vom betroffenen Gebiet entfernt ist.

Unsre Gebete, sie helfen nicht mehr!

Unsre Gebete, sie helfen nicht mehr!

Von unter Wasser sind Schreie der Toten unhörbar …

Aber dort sind die Tiere – unsere jüngsten Kinder!

Aber dort sind auch Menschen! Die nicht mehr fliehen konnten …

 

Aber dort ist – NATUR! Das mütterlich liebende Summen,

Das vom Wasser so frech erstickt wurde!

Und nur das Stöhnen, das letzte Stöhnen vor dem Tode …

Und nur der Schmerz durch mit Absicht verursachtes Unglück …

 

Und nur die Trauer, die unaussprechliche Trauer!

Leere Verlassenheit bleibt dort auf Jahre!

Und schon schaut mit missgünstigem Blick die Zukunft

Uns entgegen, wie eine Strafe für Sünden …

 

Und unter der Erde wird nur der Unmensch 

Die Maske abwerfen … Das ist doch kein Mensch!

Das ist Kain, das ist Judas! Mit frecher Lüge

Verdammt´ er zum Leiden an Mangel die Zukunft der Menschheit!

 

Uns´re Gebete, sie helfen nicht mehr …

Es ist nur noch Dauerlärm von den Raketen und Artillerie!

Und von neuem bleibt uns nur übrig, auf dem Schlachtfeld

Zu befreien die Dörfer und Städte.

 

Iryna Kalina, 11. 6.23

 

Не допоможуть наші вже молитви!

Не допоможуть наші вже молитви!

І з-під води не чути мертвих крик...

А там тварини -- менші наші діти!

А там і люди! Хто так і не втік...


А там -- ПРИРОДА! Материнський гомін, 

Що захлинувся нагло від води!

І лише стогін, передсмертний стогін...

І лише біль навмисної біди...


І лише горе, невимовне горе!

І лише пустка буде на роки!

А вже майбутнє поглядом недобрим 

На нас погляне, кара за гріхи...


І лише нелюд скине під землею 

Свою личину... То ж не чоловік!!!

То Каїн, Юда! Наглою брехнею 

Майбутнє людства гибити прирік!


Не допоможуть наші вже молитви...

А лише гради, стугни і арта!

І знову нам лише на полі битви 

Звільнять належить села і міста!

Iryna Kalina, 11.6.23

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Friederike (Dienstag, 13 Juni 2023 22:48)

    Sehr ergreifende Worte von Iryna! Besonders rühet mich "das letzte Stöhnen vor dem Tode" und " die Trauer, die unaussprechliche Trauer" an. ... "Judas" allerdings kann ich nicht mit dem skrupellosen Verbrecher identifizieren. Dessen Verrat muss man, denke ich, anders sehen.
    In der Übersetzung würde ich lieber "absichtlich verursachtes Unglück" lesen, nicht "mit Absicht".

  • #2

    Ірина Калина (Mittwoch, 14 Juni 2023 06:17)

    Дякую за коментар пану Friederike! Це справді невимовний біль... Стосовно Юди, розгляну це зауваження, можливо, але я не оцінювала його якості, тільки наслідки, а вони такі, які "розпинають" Україну!