
Sehen, wie in einem gesprungenen Spiegel am Fahrbahnrand. Sehen, in Sehnsucht, das Ganze zu erblicken. Unsere langjährige Begleiterin
Nellie wurde zeitlebens von den verschiedensten Mitmenschen als "der Hund, der lacht" bezeichnet. Sie war quirlig, quicklebendig und eigenwillig. Sie öffnete uns buchstäblich Türen zu Begegnungen
mit den verschiedensten Menschen und sorgte für jede Menge gute Laune. Ihr letzter Weg war quälend und lang: Dement und körperlich angegriffen rannte sie in ihren letzten Lebensmonaten oft bis
zur Erschöpfung im Kreis. Auf dem Foto ist sie an einem ihre letzten Tage im Februar 2023 zu sehen, wie sie sich nach solcher Jagd unendlich erschöpft an einen unwirtlichen Platz zurück gezogen
hat.
Auch in den Nächten fand sie keine Ruhe. Wir wollten sie damit nicht allein lassen. Einer von uns nahm sie mit sich, ihr Kissen neben seinem Bett. Dort, im Schlafraum, zog sie oft mit hängender Zunge hechelnd ihre nicht enden wollenden Kreise. Man kann sich vorstellen, dass auch der Mensch an ihrer Seite sich in einer solchen Nacht kaum entspannt. Die folgenden Gedanken in Reime zu fassen, bedeutete für mich damals in der Dunkelheit den Versuch, ihren verzweifelten Kampf an ihrer Seite einigermaßen produktiv auszuhalten, ohne selbst auszurasten. Ihr nicht helfen zu können machte mich zornig. Und mir stand auf einmal sehr plastisch vor Augen, dass auch ich eines Tages den letzten Weg antrete. Niedergeschrieben habe ich die Zeilen am nächsten Tag. Gefeilt daran habe zwischendurch, bis heute, während längst schon die Hündin Mira uns begleitet. Weitere Überarbeitungen des Gedichts schließe ich jedoch nicht aus.


Der letzte Atemzug
(unter dem Eindruck von Nellies Dahinschwinden)
Bevor ich nehme meinen letzten Atemzug,
Möcht ich noch gut für meine Lieben sorgen.
Nichts will ich dann mehr aus dem Morgen borgen,
Doch sagen will ich: „Gut war´s, und genug.“
Hoff ich, dass dann auf sicheren Geleisen,
Von denen freilich ich nicht ahn, wohin sie führen,
(Halt ich mich fest? Schon schließen sich die Türen ...)
Werd´ man mir nur die wahre Richtung weisen.
Schiebt man mich oder steige ich noch zu?
Vermutlich fehlt die Kraft mir, zu gestalten.
Bitt´ mit den Augen, mögt die Hand mir halten,
Fleh im Vergehn ich, Er schenk mir die Ruh.
Wenn er dann naht, mein allerletzter Zug,
Dann werd ich Atem los, kleid´ mich nicht mehr ins Wortgewand.
Dann steh ich bald schon nicht mehr, wo ich stand.
Dann weiß ich sicher: Gott allein ist klug.
CH, Februar 2023/April2025
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