
Nachts kannst du dich ihm nicht mehr entziehen. Es lässt dich kaum einschlafen. Sät mit seinen Einflüsterungen Zweifel. Heizt das weiter an, was du schon bei Tageslicht nicht bewältigen konntest. Nachts bis du diesem Ungeheuer nahezu hilflos ausgesetzt. Wirklich?
Die Dichterin und Psycholgin Junna Schulga aus Tscherkassy zeigt einen erstaunlichen Weg auf, wie man sich solchen Endlosschleifen nächtlichen Grübelns stellen kann.

Möge das Untier in mir bis zum Morgen ruhig schlafen.
Liuli-liuli … Ach, du Finsternis, wiege es sanft!
Grad so, als ob diese Nacht auch noch nicht die letzte sei.
Im Kreise derer, die eine innige Einigkeit fanden.
Im bodenlosen, nicht zur Vollendung gelangendem Dasein.
Schlaf doch, mein Untier, schlaf … zwing die Seel´ nicht zum Äußersten!
Untier der Nacht, widerfahren dir Träume und Alpträume?
Und zieht sich pelzig im Maule dein Atem zusammen?
Saug dich nicht fest mit den Wurzeln im zarten Herzen.
Zerstör nicht die Hoffnung auf Rettung …
Augenblicke der Stille, so wie Schatten gesichtslos,
Tauchen in Lethe, dort, wo die Sonne doch ist.
Oh, du mein Obdachloses, das ein Zuhause nicht kennt.
Zugvogel du, zu Stämmen gehörig, die uns ganz unbekannt.
Ich wünsche niemandem, dir auch nur zu begegnen,
Dir, Raubtier, das schneidet tief ein ins lebendige Fleisch.
Schlaf doch, mein Untier, tauch ein, vertief dich ins Koma.
Nichts bring in Erfahrung, weder das Volk noch die Flagge.
In Schlaf hab ich sanft dich gewiegt in dieser Nacht nun,
In die Geheimnisse der Penaten, der nächtlichen.
Möge dir träumen der Himmel doch, der blaue Himmel
Über der Heimat, der meinen, als sie im Frieden noch war.
Blick in die Augen, rein wie der Himmel, der ihren, der Unschuldigen!
In welchen der Krieg hat stattgefunden noch nicht.
Schlaf doch, mein Untier! Denn Zeit wird´s für dich, zu vergessen
Die alles zerstörende Kraft der Feindseligkeit.
Zorn ist kein Gegengift! Bitterer Giftstoff ist er,
Der im Schmerz über Tote das Innere lähmt wie mit Fesseln,
Den Schmerz, der von Vergeltung herrührend zornig aufheult,
Nimm ihn mit! Ich flehe darum, denn ich droh zu versinken …
Junna Schulga
12.05.2025

Ihre bewegenden Zeilen in hoher literarischer Qualität ergreifen mich. Ich bin mir aber zunächst nicht sicher, ob ich sie in ihrer Tiefe auch richtig begreifen kann. So sende ich der Autorin kurzentschlossen im Messenger eine Liste mit zehn Fragen. Ich möchte die Begriffe klären, die ich zwar bereits im Onlinewörterbuch nachgelesen habe. Aber habe ich sie auch wirklich ihrem Hintergrund gemäß eingeordnet?
Ob es ihr mit dem Untier um einen inneren Kampf geht, möchte ich wissen. Um den Kampf mit allen Gefühlen, dem aufkeimenden Hass gegen den Feind. "Ja," antwortet sie mir. "Dieses Untier ist jetzt wohl ein Teil jedes Ukrainers, der in seinem Inneren alles Durchleiden, alle Beunruhigung und seine Gefühle im Zaume halten muss. Es ist wie das "Es" in der Psychologie." Also ein Teil des Unterbewussten im Gegensatz zu Ich und Über-Ich.
Einige ihrer Erklärungen kann ich durch eine entsprechende Wortwahl ganz gut in meine Übersetzung einflechten. Bei anderen drängt es mich regelrecht, sie Euch ausführlicher wiederzugeben. Das obdachlose Untier beispielsweise. Es habe, so schreibt sie, eigentlich kein Zuhause. Und da es nur Leid bringt, will natürlich auch niemand es beherbergen. Oder auch nur in seiner Nähe haben.
Aber wie stellt sie sich das mit dem Zustand des Koma vor? Den Gedanken finde ich faszinierend. "Ja," schreibt sie, "dann soll es ruhig in unserem Inneren weiter existieren, als Erinnerung an alle durchlittenen Momente während der Kriegszeit. Aber es soll passiv bleiben und mit seinem Hass nicht alles vergiften, was uns umgibt."
Wenn die Autorin in der vorletzten Strophe von Augen schreibt, die blau wie der Himmel sind, so schwingt hier übrigens nicht die deutsche Vorstellung von "blauäugig" als "dümmlich, naiv" mit, sondern vielmehr ein Verständnis von kindlicher Unverdorbenheit und Reinheit. Eine der entsetzlichen Wirklichkeiten dieses Krieges ist ja, dass der verbrecherische Feind aus dem Osten einer zutiefst friedlichen Nation diesen Krieg aufgezwungen hat, einer Nation, zu deren Wesenszügen es eigentlich gehört, Konflikte zu vermeiden und um des guten Miteinanders willen sogar Zugeständnisse zu machen, die für sie selbst kaum mehr tragbar sind. Diese Eigenschaft rührt nicht zuletzt von ihrem christlichen Glauben her. Und so spricht dieses beeindruckende Gedicht auch von der schrecklichen Qual, dazu genötigt zu sein, sich, sein Land, dessen Menschen, Kultur und Identität, mit Mitteln der Gewalt zu verteidigen. "Hier ist eher die Rede davon," erläutert Junna Schulga mir, "dass Feindseligkeit und Vergeltung für die Ermordung der Unseren, den inneren Zustand der Ukrainer nicht verbessern kann. Im Gegenteil, das macht sie nur noch unglücklicher. Denn gegen das Dahinmorden unseres Volkes töten auch wir selbst und laden damit schwere Schuld auf uns."

Звір в мені хай тихо спить до рання.
Люлі-люлі... Темінь, колисай!
Так, немов ця ніч ще не остання.
Поміж тих, які знайшли єднання
У безодні недоіснування.
Спи, мій звіре, спи... душí не край!
Звіре ночі, бачиш сновидіння?
В'яже в роті дихання твоє.
Не впивайся в серденько корінням.
Не руйнуй надію на спасіння...
Миті тиші, як безликі тіні
Кануть в Лету, там де сонце є.
Мій безхатько, що не знає дому.
Кочівник непізнаних племен.
Не бажаю стріти я нікому,
Хижака, що ріже по живому.
Спи, мій звіре, поринай у кому.
Не пізнай: ні люду, ні знамен.
Я ж тебе заколисаю нині,
У нічних пенатах таїни.
Хай тобі насниться небо синє
На моїй, ще мирній, Батьківщині.
Глянь в блакить очей її невинних!
У яких ще не було війни.
Спи, мій звіре. Час тобі забути
Ненависті силу руйнівну.
Лють – не антидот! Гірка отрута,
Що ятрить нутро смертями скуте.
Біль, який від помсти виє люто,
Забери! Благаю, бо тону...
Шульга Юнна
12.05.2025

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Юнна Шульга (Samstag, 17 Mai 2025 22:23)
Безмежно вдячна за Вашу безцінну підтримку та розуміння внутрішнього світу кожного українця�� Щиро зичу, щоб наші "внутрішні звірі" були наповнені тільки добром.