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Verletzlich

Ich bin glücklich: Während ich diesen Artikel schreibe, klingelt es plötzlich an der Haustür und das mit der UKRPOSHTA bestellte Buch "Nation unzerbrechlicher Menschen" von Natalia Sidlar-Dubova wird von einem Kurier geliefert. Beide abgebildete Bücher hat die Autorin aus Charkiw seit 2022 veröffentlicht.

 

 

"Mohnblüten" so erzählten mir meine ukrainischen Freundinnen bereits im Jahr 2015, als die Zahl der blau-gelben Flaggen auf frischen Soldatengräbern und an Gedenkstätten für die an der Front umgekommenen Verteidiger erschreckend anwuchs, "Mohnblüten sind für uns ein Symbol unserer Liebe zu unseren Männern, Brüdern, Vätern und Söhnen, die ihr Leben für die Sicherheit unseres Heimatlandes geopfert haben."

 

Mohnblüten, kunstvoll auf Blusen gestickt, auf Taschen gedruckt, am 9. Mai zum Zeichen des NIE WIEDER als Anstecker getragen, waren schon damals sehr populär in der Ukraine. Sie bilden ein wiederkehrendes Motiv in der aktuellen, ukrainischen Lyrik. Und so berührte es mich sehr, als in den folgenden Jahren eine Mohndesignmode auch auf deutsche Servietten, Tassen und Kleidungsstücke überschwappte. Nicht umsonst habe ich unseren großen Sohn gebeten, mir als Cover meines Augenzeugenberichts "Schwester Jelenas Tränen" die Umrisse der Ukraine zu zeichnen und die größeren Städte in Form von Mohnblüten anzuordnen.  Das Buch (siehe die Rubrik Bücher und Texte dieser Webseite) ist weiterhin im Buchhandel erhältlich und gibt viele meiner Begegnungen und Beobachtungen in unserem letzten Jahr in Kyjiw wieder.

 

Diese Tage sehe ich bei meinen Spaziergängen ebenfalls Mohn. Bleich, fragil, verletzlich wirkt er in diesem merkwürdigen Sommer. Irgendwie, finde ich, passt er zur Ahnung, wie zerbrechlich all das sein kann, worauf wir uns bisher verlassen haben.

 

Tiefe Verletzlichkeit erlebt auch die Dichterin und Schriftstellerin Natalia Sidlar-Dubova, die kürzlich im Krieg einen nahen Angehörigen verloren hat und in Charkiw den zum Alltag gewordenen, perfiden, russischen Angriffen ausgesetzt ist. Nichtsdestotrotz ist sie auf vielfache Weise ständig im Einsatz, unentgeltlich, als Freiwillige, zur Unterstützung von Binnenflüchtlingen und Frontsoldaten. Sie sorgt dafür, dass in der FB-Gruppe Gesamtukrainische Poetische Familie jeden Morgen eine Dichterin oder ein Dichter im sogenannten Poetischen Volontariat online und live Gedichte zu Gehör bringt. Werke großer, klassischer Poeten, Gedichte von Amateuren und anerkannten zeitgenössischen Lyrikerinnen und auch eigene. Diese Sendung "Danke für den Morgen!" findet großen Anklang. Immer wird darin auch Dank an die Männer und Frauen in den ukrainischen Streitkräften  dafür ausgesprochen, dass man die Nacht lebendig überstanden hat. Hin und wieder habe ich auch schon mit hineingehört und beobachtet, wieviele lobende und ermutigende Kommentare dazu  währenddessen von anderen Mitglieder der Gruppe eingingen.

 

Auf die Frage, woher sie die Kraft dazu nimmt, finde ich keine Antwort.

Ich wünsche ihr und ihren Mitstreitern von Herzen Gottes spürbaren Schutz und Beistand, nachwachsende Kräfte und zwischendurch immer wieder aufbauende Momente und Oasen für die Seele.

 

Doch nun lest selbst, welch eindrückliche Zeilen neulich unter starkem Beschuss entstanden:

 

 

 

In den Körper frisst sich die Kugel, quetscht das Leben aus ihm heraus,

schreckhaft, doch weiter dann furchtlos, als sei sie hier Richter. 

Zum Henker wird sie. Sie beraubt aller Sehnsucht nach Zukunft von neuem, 

Der Himmel wankt über dem Felde. Noch jagt kämpfend die Liebe, 

Gewiss … Liebe ist trügerisch! Verschworen hat sich ihr der Krieg, 

Unheil hat er geweckt, um sich nicht allein zu vergnügen - 

Es sind Granaten zur Stelle, Raketen. Der Anblick verwüsteter Dörfer. 

Der Wind deklamiert Sonette, zwischen Ruinen und Gräbern …

 

Die Kugel erdrückt die Seele. Regen wäscht fort die Spuren. 

Unbewegt hängen die Sterne im Augenblick solcher Not. 

Still erklingt nur das Gebet. Der Sanka rast todesmutig. 

Der Engel des letzten Kampfes sät Mohn zum Gedenken … 

 

Natalia Sidlar-Dubova 

18.07.2025

 

#Charkiw_Krieg_Wir_sind_Ukraine



 

 

 

Куля вгризається в тіло, тисне із нього життя 

Боязко, далі сміливо.наче вона тут суддя. 

Катом стає. Позбавляє мрій на майбутнє ізнов, 

Небо над полем хитає . Ще проганяє любов, 

Адже... Кохання зрадливе! Їй присягнулась війна, 

Лихо для смерті збудила, щоб не гуляла сама– 

Поряд снаряди , ракети. Погляд спустошених сіл. 

Вітер читає сонети серед руїн і могил...

 

Куля вичавлює душу. Дощ вимиває сліди. 

Зорі висять непорушно в миті такої біди. 

Тихо лунає молитва. Мчить відчайдушно евак. 

Янгол останньої битви сіє для пам'яті мак...

 

Наталія Сідларь -Дубова

18.07.2025

 

#Харків_Ми_Україна_війна

 

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Friederike (Montag, 28 Juli 2025 14:38)

    Danke für dieses Gedicht, besonders für die letzten sechs Zeilen, die mich sehr anrühren. Dass aus ständig erfahrenem Leid solch eine starke Dichtung wachsen kann, ist ein Wunder.
    Wir beten um Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit für die UA